Rückblick auf die letzten vier Schuljahre

Wenn man heute zurückdenkt und sich an den Beginn der Schullaufbahn im Gymnasium erinnert, scheint es, als hätte das erste Jahr in der neuen Schule gerade erst begonnen, auch wenn man während dem Verlauf dieser Jahre ein scheinbar äußerst langsames Fortschreiten der Zeit feststellte.

Am ersten Schultag war die Niederschlagsrate sehr hoch und die Stimmung der Schüler passte sich aufgrund der neuen und ungewohnten Verhältnisse an das schlechte Wetter an. Das einzige Mittel, dass zur Beruhigung beitrug, war die Tatsache, zu wissen, dass alle Anderen sich genauso fühlten. Die heutige Klassenkonstellation bestand damals natürlich noch nicht. Diese entstand erst in der dritten Klasse, als sich Personen der Klassen »B« und »C« für den realistischen Zweig entschieden. Die Schüler, die der zuletzt genannten Klasse angehörten, beschäftigten sich ausschließlich mit ihrem Hobby, dem Fußballspielen und wurde deshalb auch als »reine Fußballklasse« bezeichnet, während in der anderen Klasse eher Schüler auffindbar waren, denen Sport nicht sehr viel bedeutete, da ihre Geschicklichkeit und Schlauheit, welche bei Einzelpersonen leider nur selten gleichzeitig nachweisbar waren, zu anderen Zwecken besser dienten. Dieser Klasse genügte zur Beschäftigung ein Blatt Papier und ein Stift, in der anderen war sogar alles, mit dem man fußballartige Spiele ausüben konnte für den Zeitvertreib ausreichend. Bei dem ersten Skikurs trafen die zwei Parallelklassen zum ersten Mal in großer Anzahl vertreten aufeinander. Dann hatten auch die Angehörigen der »Klasse B« die einmalige Gelegenheit, die dort berühmteste Person der Parallelklasse, Martin B. [Anmerkung: Name aus Anonymitätsgründen gekürzt], hautnah zu erleben. Auf den ersten Blick schien dieser genauso breit wie hoch zu sein. Er war eine erschreckende Gestalt, die aus der Nähe gesehen ängstliche Menschen in Panik versetzt hätte. Nach zwei amüsanten Jahren geschah es schließlich, dass fünf Schüler der »Klasse B« und ein großer Teil der Fußballer zu einer Einheit wurden. Zwei der fünf Personen passten sehr gut zu den anderen, da auch sie ihre Köpfe nur nebensächlich zum intensiven Denken und Überlegen benutzten, doch der Rest fällt in der Menge heute noch immer so stark auf wie damals, weil der Erste das schulische Leistungsniveau zu sehr übertrifft, der Zweite in seinem Körper einen gigantischen Überdruck aufbaut, welcher dann immer wieder durch den Mund oder das Gesäß abgebaut wird und der Dritte sich nie für aktuelle Themen interessiert und kein Interesse an sportlichen Aktivitäten findet. Das Klassenzimmer und der Konsonant »B« waren das Einzige, was von der einen Klasse übernommen wurde, doch seit Beginn dieses Schuljahres ist auch der Raum ein anderer. Das Positive daran ist der verkürzte Weg zu den Sälen und zu der erst kürzlich renovierten Toilette, das Negative ist der schlechte Zustand der Tische. In der alten Klasse ließ es sich jedoch auch nicht mehr so angenehm leben wie zuvor, denn als den Fußballern der Einzug gewährt wurde, brach der Raum nach und nach zusammen. Erst wurde ein Fenster eingeschlagen, dann eine Kastentüre abmontiert, in späterer Folge fiel dann die Weltkarte von der Wand und wurde immer wieder locker aufgehängt, bis sie schließlich bei ihrem letzten Fall die unter ihr befestigte Holzleiste lockerte und letztendlich mit ihr zu Boden fiel. Noch nie zuvor war es in diesem Zimmer derartig wild zugegangen. Die besinnlichen Zeiten waren vorüber und es begann eine neue Epoche, welche nur noch dann Stille in der Klasse bat, wenn eine schriftliche Leistungsüberprüfung stattfand, oder wenn in der Pause fast alle fort waren. Doch die angenehmste Atmosphäre, die außerdem fast einen ganzen Schultag anhielt, trat immer dann ein, wenn die Fußballer bei wichtigen Spielen erscheinen mussten. In diesem Falle reduzierte sich die Anzahl der Schüler im Normalfall von neunzehn auf sieben. Erwähnenswert sind auch die letzten zwei Skikurse, auf denen sich einige besser kennen lernten und wertvolle Erfahrungen sammelten. Nachdem jedoch der zweite, so wie der erste im Ennstal Unterhalt gewährte, kamen einige Proteste auf und es wurde ein dritter angefordert, welcher nach zwei Jahren endlich Abwechslung bieten sollte. Dieser wurde aufgrund besonders ausgeprägter Überredungskünste bewilligt, obwohl für vierte Klassen eigentlich eine Sprachwoche vorgesehen wäre. Dieser Skikurs erforderte die wenigste Anstrengung, da wir auch das Mittagessen in der Unterkunft einnahmen und daher eine lange Mittagspause stattfand. Das Wetter jedoch war grauenhaft und der feste Niederschlag erzeugte ein stechendes Gefühl im Gesicht. Bei dem schönsten Wetter, welches nur einmal kurz eintrat, wurden alle zum Langlauf aufgefordert. Es war schon fast eine Qual das schönste Zimmer, das auch als einziges ein eigenes Badezimmer enthielt, zu bewohnen, weil dadurch alle herbeigelockt wurden. Dies trug wesentlich dazu bei, die Personen von ihrer eher privaten Seite her kennen zu lernen, was aber nicht unbedingt etwas Positives zu bedeuten hat. Oft erkennt man, dass man mit der Diagnose auf Debilität genau ins Schwarze trifft. Man fragt sich, ob man sich nicht in der verrücktesten Klasse Österreichs befindet, da immerhin schon Angelegenheiten vorkamen, welche absolut keinen Intellekt beinhalteten. Beispielsweise spielte ein Schüler während einer Pause im Trakt der Naturwissenschaften auf einer nicht vorhandenen Gitarre und sang das Lied aus der Werbung von den Schokobananen, ein anderer wiederum sprach oft durch orale Druckabsonderung ganze Worte und erzeugte auf diese Weise sogar Melodien.

Doch nach all der Zeit gewöhnt man sich an diverse Torheiten und Charaktere. Man sieht sie kaum noch als ungewöhnlich an, stellt sie aber zeitweise doch noch in Frage. Auch übergewichtige Personen akzeptiert man nach der Zeit des Kennenlernens genauso wie andere ungewöhnliche Leute als menschliche Wesen und alles was man davor dachte, erscheint plötzlich maßlos übertrieben. Nun ist es an der Zeit, dass alle eine drastische Wendung miterleben müssen, nach der nur weniges so sein wird wie zuvor und viele werden in anderen Schulen die Chance haben, ein fast vollständig neues Leben zu beginnen.

[Anmerkung: Die Lehrerin war so begeistert von diesem Aufsatz, dass ich ihn laut vorlesen musste. Ich werde nie den Gesichtsausdruck von Martin B. vergessen, als ich vorlas, dass dieser so breit wie hoch sei…
Diese Fassung ist eine überarbeitete Version, die im Jahresbericht unserer Schule veröffentlicht wurde.]

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